Lina (20), Deutschland | Papua Neuguinea
Ich bin in Berlin geboren und habe dort die ersten sieben Jahre meines Lebens verbracht. Als meine Eltern eines Tages nach Hause kamen und uns Kindern erzählten, wir würden nach Papua Neuguinea auswandern, hatte ich keine Ahnung wo das sein sollte und was mich in den nächsten Jahren erwarten würde. Fünf Jahre haben wir in Papua Neuguinea gelebt und sind 2008 wieder nach Deutschland zurückgezogen. Ich habe also nur einen Teil meiner Kindheit und Jugend dort verbracht, allerdings war diese Zeit so intensiv und lehrreich, dass sie mich mein Leben lang prägen wird.
Mit Deutschland kann ich mich durchaus identifizieren, denn ich habe einen deutschen Pass und meinen Wohnsitz hier. Meine Familie ist deutsch und meine Muttersprache ist auch Deutsch. Doch ich will nicht sagen, dass ich „deutsch“ oder „Deutsche“ bin. Sonst werde ich in eine Schublade gesteckt, in der ich nicht sein möchte: Das sind Deutsche. Da will ich mich nicht dazuzählen! Es ist sehr schwierig für mich zu sagen, wo meine Heimat ist, denn wenn es nicht Deutschland ist, wo soll sie sonst sein? Der Grund, weshalb ich mich nicht ausschließlich als „deutsch“ bezeichnen möchte, liegt darin, dass ich auch an anderen Kulturen interessiert bin. Ich bin offen für Neues, halte mich gerne außerhalb Deutschlands auf, spreche andere Sprachen und liebe es zu verreisen. Insgesamt bin ich schon über 100 Mal geflogen! Meine Mentalität ist überwiegend deutsch, vor allem in Bezug auf die Pünktlichkeit, aber manchmal genieße ich es, Teil einer anderen Kultur zu sein, mich anzupassen und zu sagen: Hier gehöre ich auch ein bisschen dazu.
Die Zeit in Papua Neuguinea hat mich sehr geprägt
Obwohl wir einige Jahre in Papua Neuguinea verbracht haben, habe ich mich während dieser Zeit doch immer fremd gefühlt, weil ich nicht aussehe wie die Papua. Wenn man zudem nicht gemeinsam mit ihnen in einem Dorf lebt, dann hat man auch nicht das Gefühl dazuzugehören. Ich würde daher niemals von mir behaupten, ich komme aus Papua Neuguinea, weil das nicht stimmt. Trotzdem ist es eine bedeutende Zeit gewesen, die mich geprägt hat und ein Teil von mir ist – auch, wenn ich mich nicht als Papua bezeichnen würde.
Als Kind habe ich nicht darüber nachgedacht, wie ich mich an eine neue Kultur gewöhnen oder anpassen kann. Ich glaube, das hat damals ganz automatisch funktioniert. Man macht mit, was die anderen Kinder auch machen und integriert sich dadurch früher oder später. Bedeutend war für mich vor allem auch die Zeit auf der internationalen Schule. Dadurch, dass ich von Anfang an auf keiner einheimischen Schule war, war Papua Neuguinea nicht die einzige Kultur, die ich in dieser Zeit kennengelernt habe. Durch den Kontakt zu Mitschülern aus aller Welt habe ich Einblicke in die verschiedensten Kulturen gewinnen können. Zudem habe ich das Glück, dass meine Familie sehr reisefreudig ist! Uns hat es durch die räumliche Nähe besonders oft nach Asien oder Australien verschlagen.
Später, als wir zurück nach Berlin gezogen sind, habe ich weiterhin die internationale Schule besucht. Der Unterricht gestaltete sich bilingual, was bedeutete, dass die Hälfte der Fächer auf Englisch und die andere Hälfte auf Deutsch abgehalten wurden. Auch hier waren Schüler aller Nationen vertreten.
Die Papua leben einfach in den Tag hinein
In Papua Neuguinea herrscht eine andere Mentalität, das habe ich vor allem in Bezug auf die Pünktlichkeit festgestellt. Dort findet man nur selten eine Uhr, keiner der Einheimischen hat jemals eine Armbanduhr getragen. Deshalb richtet man sich ausschließlich nach der Tageszeit und Verabredungen werden beispielsweise für morgens, mittags oder abends vereinbart. Man kommt dann auch irgendwann morgens, mittags oder abends und wenn es regnet, kommt man gar nicht. Unsere Hausangestellte kam zum Beispiel nie zu uns, wenn es regnete. Bei Regen geht sie nicht aus dem Haus, weil es matschig ist, man nicht gut vorankommt und sie keinen Regenschirm besitzt. So ist nun mal die Mentalität im Land: Ich schaue, was der Tag so bringt und plane nichts im Voraus, sondern lebe einfach in den Tag hinein.
Die Papua sind auf jeden Fall anders als die Deutschen. Vielleicht auch nicht so zuverlässig. Manchmal sagen sie Sachen, die sie sowieso nicht einhalten. Man würde sie wahrscheinlich auch nicht als „das Leistungsvolk“ bezeichnen, denn wenn nichts los ist, dann macht man auch nichts oder sitzt viel zusammen. Die Familie und das Gemeinschaftsgefühl haben für sie höchste Priorität. Ich finde, das steht schon im Kontrast zu Deutschland. Hier ist alles geregelt, es gibt bestimmte Abläufe und feste Zeiten. Auf der einen Seite finde ich das gut, weil man sich daran orientieren und darauf verlassen kann. Wenn in Deutschland etwas gesagt wird, dann wird das auch gemacht, meistens jedenfalls. Auf der anderen Seite ist es vielleicht auch gut, wenn ab und zu nicht alles so läuft, wie es geplant ist.
Ich hatte keine Ahnung, was ein iPod ist
Als ich nach Deutschland zurück kam, fand ich es komisch, den Menschen hier zur Begrüßung die Hand zu reichen. In Papua Neuguinea gibt man sich zwar auch hin und wieder die Hand, allerdings ist dieser Akt nicht so fest in der Kultur verankert wie in Deutschland. Zudem waren mir die scheinbar bekanntesten Dinge und Personen total fremd. Ich hatte beispielsweise keine Ahnung was ein iPod oder wer Rihanna ist! Ansonsten haben mir meine Eltern auch im Ausland immer vorgelebt, wie es ist, deutsch zu sein oder wie es wäre, in Deutschland zu leben.
Bis heute verwenden wir in meiner Familie Begriffe, die wir aus Papua Neuguinea übernommen haben. Beispielsweise sagen wir nicht „Moskito“, sondern „Nat-Nat“. Wir sagen auch nicht „Kokosnuss“, sondern „Kulau“. Ich finde, das macht auch Sinn, weil wir diese Wörter in Papua Neuguinea viel mehr verwendet haben als in Deutschland. Zuhause kocht meine Mama oft Gerichte mit Süßkartoffeln, weil es die in großen Mengen in Papua Neuguinea gab. Hin und wieder erzählen meine Eltern Anekdoten von dort und wir benutzen immer noch Gegenstände, die wir aus dieser Zeit haben, wie zum Beispiel handgewebte Taschen. Daher ist der Bezug stets allgegenwärtig.
Die Erfahrungen, die ich in den letzten Jahren gesammelt habe, haben mich gelehrt, wie es ist, anders zu sein. Es fällt mir leicht, mich verschiedenen Situationen anzupassen oder mit schwierigen Situationen umzugehen. Ich kann mich auch in die Lage verschiedenster Menschen hineinversetzen, habe viele Länder bereist, viele Dinge gesehen, die unterschiedlichsten Sachen gegessen und erlebt. Ich spreche fließend Englisch, kenne aber auch andere Sprachen und habe unzählige internationale Freunde. Ich habe zum Beispiel letztes Jahr nach dem Abitur ein Auslandsjahr in Japan verbracht. Meine Mitfreiwillige war zuvor noch nie für längere Zeit im Ausland, was man gemerkt hat. Ihr fiel es schwer wegzugehen, alles hinter sich zu lassen und sich in einer neuen Kultur zurechtzufinden. Ich hingegen wollte diese Auslandserfahrung unbedingt machen und fand es total spannend, eine neue Kultur kennenzulernen. Diese Offenheit, meine Erlebnisse und Erinnerungen führen mir immer wieder vor Augen, dass ich auch international geprägt bin. Zumindest ein Stück weit, denn es macht einen Teil von mir aus. Ich finde, das ist eine tolle Bereicherung!
Ich weiß, was es heißt, ständig Abschied nehmen zu müssen
Doch ob das multikulturelle Aufwachsen insgesamt eine Bereicherung ist, wird von Person zu Person unterschiedlich empfunden. Ich finde es sehr interessant, mich mit meinen Geschwistern darüber auszutauschen. Jeder von uns hat andere Erfahrungen gemacht und dieselbe Situation auf unterschiedlichste Weise wahrgenommen und verarbeitet. Für mich war die Auslandserfahrung rückblickend eine Bereicherung.
Natürlich habe ich auch negative Erfahrungen gemacht, meine Familie wurde während diesen fünf Jahren mehrmals überfallen. Ich habe viel Leid gesehen und Dinge hautnah mitbekommen, die ich in Deutschland wahrscheinlich niemals erlebt hätte. Vor allem habe ich die Erfahrung gemacht, was es bedeutet, wegzugehen. Ständig Abschied nehmen zu müssen, umzuziehen, neu anzufangen und wieder umzuziehen. Diese Brüche sind mir schwer gefallen, vor allem, als ich wieder nach Deutschland zurückkam. In diesen Momenten zeigt sich selbstverständlich keine Spur der Begeisterung oder Bereicherung. Doch im Nachhinein muss ich sagen, dass mich diese negativen Erfahrungen auch positiv geprägt haben. Im Endeffekt habe ich daraus so viel gelernt, vor allem im Hinblick auf die Anpassung. Es gibt Menschen, denen das nicht so gut geglückt ist und die Schwierigkeiten damit hatten, umzuziehen oder zurück in die „Heimat“ zu kehren. Manche haben begonnen Drogen zu nehmen und sind dem Teufelskreis gänzlich verfallen. Bei mir war das zum Glück nie der Fall, wofür ich auch sehr dankbar bin. Das Aufwachsen zwischen mehreren Kulturen war nicht einfach, aber bereichernd, weil es wertvolle Erfahrungen sind, die ich nicht missen möchte.
Doch nicht nur das Aufwachsen zwischen den Kulturen, sondern vor allem meine Eltern haben mir die Werte vermittelt, die ich auch für mich als wichtig empfinde. Das sind zum einen die Toleranz und die Offenheit gegenüber Neuem. Gastfreundschaft hat für meine Eltern einen sehr hohen Stellenwert, sie sind immer offen für Besucher und Freunde. Für sie steht der Mensch im Fokus und es zählt der Wert jedes Einzelnen, egal welcher Herkunft. Durch den christlichen Glauben, den sie mir mitgegeben haben, hat alles einen Grund und einen Sinn. Ich bin dankbar, dass mir meine Eltern diese Werte von klein auf vorgelebt haben.
Ich liebe es, meine Kartons zu packen und an einen neuen Ort zu ziehen
Mein Leben möchte ich generell schon in Deutschland verbringen, ich kann mir aber nicht vorstellen, nur in Deutschland zu leben, denn das wäre ziemlich langweilig! Ich würde nicht mit dem Gedanken auswandern, nie wieder zurückzukommen, aber ich möchte auf jeden Fall für eine begrenzte Zeit im Ausland leben. Ich finde es toll, immer wieder umzuziehen! Ich denke das kommt daher, dass wir in Papua Neuguinea in vielen verschiedenen Häusern gelebt haben. Ich liebe es, meine Kartons zu packen und an einen neuen Ort zu ziehen. Ich brauche das Gefühl zu wissen, dass es bald für mich wieder weitergeht.