Simone (21), Tübingen | Kolumbien
Mein Vater ist deutsch und meine Mutter ist aus Kolumbien. Ich bin in Kolumbien geboren und lebe seit 16 Jahren in Deutschland. Außer meinem Vater lebt meine gesamte Familie in Kolumbien. Sollte er dorthin ziehen, könnte ich mir gut vorstellen auch zurückzugehen, da mich hier nichts mehr hält.
An manches gewöhne ich mich wohl nie
In Deutschland werde ich als Kolumbianerin bezeichnet und in Kolumbien bin ich die Deutsche. Aber auch nach 16 Jahren in Deutschland gibt es hier immer wieder Situationen, die ich komisch finde und die ich auch nicht verstehen kann. Ich lade beispielsweise immer viele unterschiedliche Freunde zu einem Treffen ein, was andere Freunde wiederum sehr verärgert. Sie sind der Ansicht, dass manche nicht in die Gruppe passen. Das ist für mich total unverständlich! Wieso soll eine bestimmte Person in die Gruppe passen und die andere nicht? Das mögen vielleicht nur Kleinigkeiten sein, die mir aber auffallen und an die ich mich wahrscheinlich nie gewöhnen werde.
Auf der anderen Seite gibt es Verhaltensmuster an mir, die meinen Mitmenschen seltsam erscheinen. Zum Beispiel wird mir immer gesagt, dass ich mein Gegenüber beim Reden anfasse. Das finden die meisten unnatürlich, vor allem, wenn man den Gesprächspartner kaum kennt. Es ist nicht so, dass ich darauf achte, die Menschen nicht anzufassen. Wer mich kennt, der weiß, dass ich eben so bin und das ein Teil meiner südamerikanischen Mentalität ist. Wichtig ist einfach, dass man sich die Unterschiede bewusst macht. Deshalb bin ich auch nicht beleidigt, wenn mich jemand darauf hinweist, dass er es unangenehm findet, wenn ich ihn während des Gesprächs berühre.
Unterschiede bestehen, Kompromisse sind aber unnötig
Für mich ist es zu einfach, wenn man sagt: Kulturen ändern sich sowieso, dann kommt eben etwas Neues hinzu und später fügt sich alles zusammen. Daran glaube ich nicht. Ich glaube schon, dass Unterschiede bleiben, die man erkennen und akzeptieren muss. Das ist ja auch nichts Schlimmes. Man weiß dann, dass die Leute in mancher Hinsicht ein bisschen anders ticken. Und ich finde, es ist auch unnötig zu versuchen, einen Kompromiss zu finden oder auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Unterschiede können durchaus bleiben, solange man sich ihnen bewusst ist und sich keiner dadurch beleidigt oder angegriffen fühlt.
Ist es das alles wert?
Das Aufwachsen in verschiedenen Kulturen war für mich keine Last, denn ich hatte es nicht schwerer als andere Kinder. Aber ich kann mich auch nicht mit dem Gedanken anfreunden, ich hätte an zwei Orten ein Zuhause. Auf der einen Seite stimmt das schon, aber andererseits fehlt an beiden Orten auch immer etwas. In meinem Fall liegen beide Orte sehr weit auseinander, das heißt, ich kann nicht schnell von einem Ort zum anderen wechseln. Das finde ich sehr schade. Ich glaube, wenn ich öfter zu Besuch kommen könnte, egal wo, würde ich das multikulturelle Aufwachsen eindeutig als Bereicherung sehen. So überlege ich manchmal, ob es das tatsächlich wert war. Ich denke schon, dass meine Eltern eine gute Entscheidung getroffen haben, nach Deutschland zu kommen, weil man hier viel mehr Freiheiten hat und eine bessere Ausbildung erhält. Aber falls in ein paar Jahren niemand von meiner Familie mehr in Deutschland lebt und auch ich dann wieder nach Kolumbien zurückgehe, bleibt die Frage: War es das wert? Was rechtfertigt dann noch das Aufwachsen ohne meine Familie? Das finde ich sehr schwierig zu beantworten. Ich bin auf jeden Fall froh hier in Deutschland zu sein, aber ich habe schon auch meine Zweifel.