Kultur Konfetti
  • Start
  • Geschichten
  • Inspiration
  • Zitate
  • Blickwinkel
  • Videos
  • Über
    • Die Autorinnen
  • Suche

Hidden Immigrant

Einwanderer im eigenen Land

Third Culture Kids können sich den verschiedenen Kulturen der Länder, in denen sie leben und aufwachsen, meist sehr gut anpassen. Sie adaptieren Verhaltens-, Lebens- und Denkweisen, sind aber aufgrund ihres Aussehens trotzdem oft als Ausländer zu erkennen. Zum Beispiel, wenn ein Europäer in einem asiatischen oder afrikanischen Land lebt. Diese Erfahrung hat auch der 19-jährige Philmon gemacht. Er ist in Japan geboren und aufgewachsen, seine Eltern aber kommen aus Deutschland.

 
ZurückWeiter

Ich bin stolz nicht nur Deutscher, sondern auch Japaner zu sein. Man sieht es mir nur nicht an, das ist ein bisschen schade. Für Japaner, mit denen ich nur kurz rede, bin ich ein Ausländer, auch wenn ich Japanisch spreche. Das ist mir aber nicht immer bewusst.

Philmon

Ich fühle mich der Masse angehörig, wenn ich zum Beispiel durch Tokio laufe oder mit der U-Bahn fahre. Da denke ich nicht immer, ich bin ein Ausländer. Vor allem nicht, weil ich dort geboren und aufgewachsen bin. Deswegen sehe ich auch ab und zu einen schrägen Blick, wenn ich anfange Japanisch zu sprechen. Die Menschen erwarten das nicht.

U-Bahn in Japan

Nach dem Abitur habe ich in einem japanischen Supermarkt gearbeitet. Da haben mich manche Kunden gefragt, wo dieser oder jener Artikel sei und waren ganz verwundert, dass ich antworten konnte und es wusste. Dann musste ich mich auch immer mal wieder zurück erinnern, ach ja klar, für sie bin ich ja kein Japaner.

Philmon_Hidden Immigrant

Sind TCKs in ihren Gastländern offensichtlich als Ausländer zu erkennen, erwartet keiner, dass sie sich konform den lokalen kulturellen Normen und Konventionen verhalten. Dennoch sind TCKs mit der einheimischen Kultur in der Regel bestens vertraut.

Umgekehrt ist es, wenn TCKs mit ihren Familien oder auch alleine in das Ursprungsland der Eltern zurückkehren. Hier sehen sie zwar aus wie Einheimische, denken und handeln aber anders. Sie sind „Hidden Immigrants“. Da Hidden Immigrants nicht als Fremde zu identifizieren sind, setzen die Menschen ein bestimmtes Verhalten und Wissen bei ihnen voraus.

 
ZurückWeiter

Es kamen schon Leute am Bahnhof auf mich zu und wollten wissen, wie man ein Ticket löst. Ich war erst eine Woche in Deutschland und kannte mich selbst noch nicht mit den Fahrscheinautomaten aus. Da war ich schon ein bisschen überfordert. Das kam jetzt schon zweimal vor. Auch wenn Leute nach dem Weg fragen, kann ich jetzt noch nicht aushelfen.

Ich habe eine Gruppe von Flüchtlingen, denen ich Deutschunterricht gebe. Vor kurzem habe ich versucht ihnen zu erklären, dass ich erst seit zwei Monaten hier bin und dass sie eigentlich schon länger in Deutschland sind als ich. Aber das glauben sie mir nicht, weil ich so gut deutsch sprechen kann. Das ist schon lustig!

Es hilft, dass ich Menschen wie meine Großeltern oder meine Freundin in Deutschland habe, mit denen ich reden kann und die mir helfen, mich zurechtzufinden. Viele Dinge weiß ich nicht, kleine Tricks zum Beispiel, die jemand kennt, der in Deutschland wohnt.

Was Hidden Immigrants äußerlich zu sein scheinen, ist häufig nicht das, was sie im Inneren fühlen. Manche Hidden Immigrants verbergen deshalb ihre kulturelle Vergangenheit lieber, wenn es um die Frage nach ihrer Identität geht. Sie passen sich der neuen Umgebung in Sachen Kleidung, Sprache und Denkweise bestmöglich an, damit keiner bemerkt, dass sie anders sind. Andere Hidden Immigrants klären ihre Mitmenschen hingegen sofort über ihr Aufwachsen in verschiedenen Kulturen auf. Sie zeigen stolz, dass sie anders sind und auch nicht vorhaben, sich anzupassen. Manchmal beobachten Hidden Immigrants auch gerne das Geschehen und Verhalten der anderen zunächst aus der Entfernung, um nicht zu riskieren, als Kulturlaie entblößt zu werden.

Philmon ist im Januar nach Deutschland zurückgekommen. Seine Eltern sind noch in Japan. Seit über 20 Jahren leben sie schon in dem gut 9.000 Kilometer entfernten Land. Philmons Vater ist Pastor und betreibt in Japan Gemeindeaufbau. In Deutschland wohnt Philmon nun bei seinen Großeltern und möchte im Herbst anfangen hier zu studieren. Bisher hat er sich ganz gut in Deutschland und dem deutschen System zurechtgefunden, es gibt aber immer wieder Momente, in denen er merkt, dass er auch Japaner ist.

 

Vor allem meine Verhaltensweisen sind sehr japanisch. Japaner sind eher zurückhaltend und sehr höflich, einfach sehr nett und freundlich. Vielleicht auch ein bisschen zu zurückgezogen und auf die eigene Sache fokussiert. Das ist in Deutschland anders, hier geht man viel mehr aufeinander zu, grüßt zum Beispiel auch fremde Menschen auf der Straße. Das macht man in Japan eher nicht. Die Japaner begrüßen sich auch nicht mit Handschlag, sondern mit einer Verbeugung. Das musste ich hier auch erst einmal lernen! Der eine will einen Handschlag, der andere eine Umarmung zur Begrüßung, auch wenn man sich das erste Mal sieht. Das ist für mich noch gewöhnungsbedürftig.

Philmon möchte Deutschland jetzt genauso gut kennen lernen wie Japan. Die anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten machen ihm nichts aus. Er ist froh, bald mehr als ein Land seine Heimat nennen zu können. Das Leben zwischen zwei Kulturen möchte Philmon auch in Zukunft weiterführen. Am besten mit einem Job, der beides verbindet.

 

Es gibt viele deutsche Firmen in Japan und es gibt auch viele Firmen, die nach Japan liefern oder irgendeine Zusammenarbeit mit Japan haben. Ich kann mir gut vorstellen, in so einem Bereich zu arbeiten. Da habe ich sicher auch bessere Chancen als jemand, der nicht in Japan gelebt hat.

Japan_Stadt

Nach dem Sommer steht aber erst einmal Studieren auf dem Plan. Was, das weiß Philmon noch nicht genau.

 

Durch mein Leben in Japan bin ich offener geworden und kann dadurch Dinge anders bewerten. Ich bin wahrscheinlich nicht so engstirnig und kann akzeptieren, wenn Leute anders sind. Inwiefern ich in bestimmten Situationen anders reagiere als ein Deutscher, finde ich mit der Zeit wahrscheinlich noch heraus. Auf jeden Fall bin ich froh, dass ich interkulturell aufgewachsen bin.

Literatur: David C. Pollock, Ruth E. Van Reken, Georg Pflüger: „Third Culture Kids. Aufwachsen in mehreren Kulturen.“

© Copyright - Kultur Konfetti | Kontakt | Datenschutzerklärung | Impressum
  • Facebook
  • Twitter
10 Dinge, an denen du erkennst, dass du ein TCK bist Experteninterview: Tanja Thomas
Nach oben scrollen